Vor 36 Jahren, am 25. April 1983, explodierte Hitlers letzte grosse Bombe. Die verantwortlichen Mitarbeiter der deutschen Wochenzeitschrift «Stern» präsentierten in Hamburg vor 250 Journalisten der internationalen Presse die Sensation des Jahrzehnts: Hitlers geheime Tagebücher, die der Reporter Gerd Heidemann nach abenteuerlichen Recherchen aufgespürt und für die astronomische Ziffer von fast zehn Millionen Deutsche Mark erstanden hatte. Drei Tage später begann der «Stern» mit der Publikation von ersten Auszügen aus den 62 Tagebuchbänden, die Hitler angeblich zwischen 1932 und 1945 verfasst hatte.
Zwei Wochen später wurde aus der historischen Jahrhundert-Entdeckung der grösste Medienskandal in der Geschichte der deutschen Presse der Nachkriegszeit. Am 6. Mai 1983 konnte die deutsche Bundeskriminalpolizei beweisen, dass es sich bei den Tagebüchern eindeutig um eine kolossale Fälschung handelte: Sowohl ein Teil der Materialien für die Bindung wie auch Elemente, die für die Herstellung des Papiers verwendet wurden, stammten aus der zweiten Nachkriegszeit. Aus linguistische Analysen ging zudem hervor, dass der deutsche Diktator gewisse Formulierungen kaum benutzt haben konnte. Ein Zweitgutachten, dieses Mal von der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA), stützte die deutschen Ergebnisse und zeigte zusätzlich auf, dass noch weitere Materialien auf die Nachkriegszeit zu datieren waren und die antike Patina auch erst nachträglich erzeugt wurde. Die Angelegenheit endete vor dem Gericht: Der Fälscher Konrad Kujau, der gestand, die 62 Bände selber verfasst zu haben, wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, während der Reporter Gerd Heidemann, der den Richtern zufolge einen Teil der Millionen für den Kauf der Tagebücher in seine eigenen Taschen fliessen liess, eine Haftstrafe von vier Jahren und acht Monate erhielt. Die Geschehnisse dienten später als Vorlage für einen satirischen Film mit dem Titel «Schtonk».
Felix Schmidt war von 1980 bis 1983 einer der drei Chefredaktoren des «Sterns». Nach dem Ausbruch des Skandals trat er sofort zurück. Wenige Wochen später, ermutigt durch den Chefredaktoren der «Zeit», schrieb er eine Chronik der Ereignisse, die zum Skandal der gefälschten Tagebücher geführt hatten. Dreissig Jahre lang lag sein Manuskript unberührt in einer Schublade. Im April 2013 wurde sein «Tagebuch der Tagebücher» von der «Zeit» veröffentlicht. Es ist eine fürchterliche und zugleich faszinierende Quelle, die hilft, die Mechanismen zu verstehen, welche die letzten kritischen Funken Verstand der beteiligten Personen auslöschten und zu diesem eklatanten Mediendesaster führen konnten.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 23. April 2013, 07:05 Uhr]