Heute ist der 11. September oder in der amerikanischen Schreibweise «9/11». Für die Generationen, welche es erlebt haben, ist dieses Datum bereits eine ins kollektive Gedächtnis gemeisselte Zahl. Sicher erinnern sich alle, wo sie sich aufhielten, als sie die Nachricht erreichte, dass islamische Terroristen mit Verbindungen zu Al-Qaida vier Zivilflugzeuge entführt und sie in die Zwillingstürme des World Trade Center von New York, gegen das Pentagon in Washington und in ein Feld von Pennsylvania gelenkt hatten. Den Anschlägen fielen ungefähr 3’000 Menschen zum Opfer.
Die wieder und wieder gesehenen Bilder der in die Zwillingstürme krachenden Flugzeuge haben sich bestimmt allen tief ins Gedächtnis eingeprägt. Auch wenn es sich beim 11. September inzwischen um ein fest in das Kalenderjahr aufgenommenes Datum handelt, erinnern sich vielleicht nicht alle an das Jahr: Es war im Jahr 2001, fast am Anfang eines neuen Jahrtausends. Das kaum begonnene Jahrtausend erhielt durch die politischen Konsequenzen der Anschläge des 11. September ein neues Gesicht: Die Vereinigten Staaten erklärten den «Krieg gegen den Terrorismus» und griffen das zu jener Zeit unter der Herrschaft der Taliban stehende Afghanistan an. So katapultierte der religiöse Fundamentalismus, verkörpert von den Bildern der zusammenstürzenden Türme von New York, die These vom Triumph der westlichen liberalen Demokratien und vom «Ende der Geschichte», die der konservative Intellektuelle Francis Fukuyama 1989 in der Euphorie des Endes des Kalten Krieges formuliert hatte, aus der Geschichte hinaus. Die persönlichen Erinnerungen in Zusammenhang mit dem 11. September bilden heute einen Teil der Biographie jedes einzelnen von uns. Das Datum hat Eingang in unser Leben gefunden, wie auch – für alle, die sie bewusst miterlebt haben – die Mondlandung der Apollo 11 am 20. Juli 1969 oder die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas. Kein Zufall ist es, dass zu den drei ganz unterschiedlichen Ereignissen die verschiedensten Theorien über imaginäre Verschwörungen kursieren. Unter diesen unzähligen Komplott-Theorien findet man jene, die das Einstürzen der Türme in New York als blosse Folge des Einschlags der Flugzeuge und der darauf folgenden Brände in Frage stellt; eine andere, dass es sich bei der Landung auf dem Mond nur um eine Inszenierung und bei den Fotos um Fälschungen handelt und dann natürlich auch sämtliche Theorien über die Ermordung Kennedys und die zwielichtige Rolle der amerikanischen Geheimdienste. Höchst ärgerlich an diesen Theorien mit ihrem morbiden Reiz ist ihre Hartnäckigkeit. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wurde zum Beispiel eine offenkundige Fälschung in Form eines Geheimdokumentes mit dem Titel Die Protokolle der Weisen von Zion erstellt, das eine jüdische Verschwörung zur Erlangung der Weltregierung enthüllte. In den 1930er Jahren veröffentlichte ein Schweizer Frontist verschiedene Artikel, mit welchen er die Authentizität der «Protokolle» verfocht. 1935 beurteilte das kantonale Gericht von Bern die Dokumente eindeutig als Fälschung. Und trotzdem schwirren auch diese berüchtigten «Protokolle» weiterhin beharrlich in manchen verdrehten Köpfen herum. Mit dem Wunsch an alle, dem morbiden Charme der Komplotte zu widerstehen.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 11. September 2012, 07:05 Uhr]