Der Begriff «digitale Revolution» beschreibt den radikalen Wandel, den der Computer und die Digitalisierung der Information Ende des 20. Jahrhunderts in fast alle unsere Lebensbereiche gebracht hat. In Analogie zu den Industrialisierungsprozessen, die 200 Jahre früher zur industriellen Revolution geführt hatten, wird zuweilen von einer «zweiten Moderne» gesprochen. Die Bezeichnungen sind nicht so wichtig, unbestreitbar ist hingegen, dass diese Revolution unsere Kommunikation und folglich auch die Art und Weise und die Materialität, mit der sie für den Moment und für die Zukunft festgehalten wird, tiefgreifend verändert hat. Inskünftig werden sich die Historiker mit neuen Quellentypen, die sich von den bislang bekannten stark unterscheiden und deren langfristige Archivierbarkeit noch angezweifelt wird, auseinandersetzen müssen. Genau zu diesen für das zukünftige Studium der Geschichte grundlegenden Fragen haben in den letzten zwei Wochen zwei wichtige Veranstaltungen stattgefunden. Die erste wurde von der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte an der Universität Zürich durchgeführt und hat den Stand der historischen Edition im digitalen Zeitalter analysiert. Die Beiträge des Kongresses behandelten die Beziehungen zwischen den Editionen und den Archiven, die unterschiedlichen digitalen Zugangsformen zu den Informationen, die virtuelle Materialität der Internetpublikationen und ihre Vernetzung untereinander, so wie die neuen Möglichkeiten, die sich dem Unterricht in Schule und Universität durch diese Technologien eröffnen. Die zweite Veranstaltung fand im Bundeshaus anlässlich der Feiern zum zehnjährigen Bestehen der Koordinationsstelle für die dauerhafte Archivierung elektronischer Unterlagen statt, einer Institution, die vom Bundesarchiv und fast allen Staatsarchiven getragen wird. In meinen Beiträgen habe ich betont, wie wichtig es ist, dass die Editionen von historischen Dokumenten in den Händen der freien Forschung bleiben und, dass verhindert werden muss, dass sie unter die Kontrolle des Staates, von dem sie sich im letzten Jahrhundert emanzipieren konnten, gelangen. Um den Zugang zu den Archiven des digitalen Zeitalters zu gewährleisten, braucht es dringend eine dreifache Öffnung. Erstens: Die Archive müssen alle Tools für die Verwaltung der digitalen Quellen unter «Open Source»-Lizenzen stellen, damit die Programme zugänglich und transparent sind und es möglich wird, Suchalgorithmen zu analysieren. Zweitens: Die Instrumente und die Quellen müssen nach dem Prinzip des «Open Access» zugänglich sein, das heisst, dass der Zugang zu den Quellen gewährleistet sein muss und nicht durch versteckte Abgaben und Kosten eingeschränkt werden darf. Drittens: Die Kataloge, Register, Metadaten und das gesamte digitale Material müssen unter dem Prinzip «Open Data» der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Die Nutzer sollen damit ihre eigenen Hilfsmittel für das Quellenstudium entwickeln können und nicht auf Algorithmen, die, wie beispielsweise jene von Google, nicht auf wissenschaftlichen sondern auf kommerziellen Kriterien oder anderen gefährlichen Überlegungen beruhen, angewiesen sein. Von dieser dreifachen Öffnung der zukünftigen digitalen Archive wird schliesslich die Freiheit der historischen Forschung abhängen.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 19. November 2014, 07:05 Uhr]