Vor etwas mehr als sechs Jahren hat der Bundesrat zum ersten Mal in seiner Geschichte dem Parlament beantragt, eine Volksinitiative teilweise für ungültig zu erklären. Die Neuigkeit lag in der Teilungültigkeit: In den über 120 Jahren seit der Einführung dieses politischen Rechts wurden vier Initiativen für ganz ungültig erklärt und damit dem Volkswillen entzogen, das letzte Mal 1995. Es ist unbestritten, dass die Seltenheit des Ereignisses Ausdruck des politischen Widerwillens ist, das demokratische Initiativrecht einzuschränken. Seine eigentliche Bedeutung liegt eher im indirekten Effekt der politischen Einflussnahme auf der symbolischen und diskursiven Ebene als auf der praktischen, wenigstens gemäss der statistischen Feststellung, dass nur 11% der Volksinitiativen vom Schweizer Volk und den Kantonen angenommen wurden.
Auch dieses Mal drehte sich die politische Auseinandersetzung um das Problem des Primats des Völkerrechts vor dem Landesrecht. Es geht mit anderen Worten um die Frage, ob der «Demokratie», oder genauer, einem Mehrheitsentscheid des Schweizer Volkes und der Kantone Grenzen gesetzt sind. Wäre es möglich, dass eine Mehrheit beschliessen könnte, eine Minderheit zu schikanieren, zum Beispiel mit dem Entscheid, eine Strafsteuer für all diejenigen einzuführen, die in der Schweiz Italienisch sprechen? Das Beispiel sollte uns in Erinnerung rufen, dass die Grundlagen der Menschenrechte, festgeschrieben im Völkerrecht, gerade im Interesse der Minderheiten und der «kleinen» Staaten sind, und dass die «Demokratie» mehr beinhaltet als einen simplen Mehrheitsentscheid.
Genau das legte vor 50 Jahren, am 10. Dezember 1968, Bundespräsident Willy Spühler im Parlament dar, als er auf eine Interpellation zum Problem des Verhältnisses von Völkerrecht und nationalem Recht antwortete. «Die Schweiz», so der Bundesrat, «ist immer davon ausgegangen, dass eine strikte Beachtung des Völkerrechts eine der wichtigsten Voraussetzungen für jede internationale Ordnung und damit für einen dauerhaften Frieden darstellt. Unsere Aufgabe und unser Ziel muss es deshalb sein, zu verhindern, dass völkerrechtswidriges Landesrecht zustande kommt oder fortbesteht.» (dodis.ch/33171).
Heute, aus der Distanz von fast einem halben Jahrhundert, müssen wir feststellen, dass sich die Debatte noch nicht erschöpft hat und sie uns angesichts des aktuellen politischen Klimas noch einige Zeit verfolgen wird. Diese und andere spannende Geschichten sind in den Dokumenten der Online-Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz zu finden.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, Dienstag 10. Dezember 2013, 07:05 Uhr]