Vor 57 Jahren lösten die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion um ein Haar einen Atomkrieg aus. Was in die Geschichte als «Kubakrise» einging, galt zusammen mit der Berlin-Blockade von 1948/49 als einer der kritischsten Momente des Kalten Krieges.
Um ihren Rückstand gegenüber den Vereinigten Staaten in der Entwicklung von Interkontinentalraketen wettzumachen und der Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in Italien und der Türkei entgegenzutreten, beschloss die Sowjetunion unter der Führung von Nikita Chruschtschow im Frühling 1962 mit Unterstützung der kommunistischen Regierung von Fidel Castro, in Kuba ebenfalls Raketen zu stationieren, mit denen die USA hätte beschossen werden können. Die erste Fracht mit sowjetischen Raketen erreichte Havanna am 8. September, eine zweite am 16. September. Sowjetische Militärs waren bereits mit dem Aufbau der Abschussrampen beschäftigt. Obschon die amerikanischen Nachrichtendienste schon seit dem Sommer verschiedene Hinweise dafür erhalten hatte, wurden die Abschussrampen erst am 14. Oktober von einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug des Typs U-2 entdeckt. Die eigentliche Krise brach am 15. Oktober 1962 aus und dauerte dreizehn dramatische Tage, während denen sich zwischen dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und dem sowjetischen Führer ein wahres Kräftemessen abspielte. Auch der Schweiz fiel eine Rolle zu: Seit 1961 – und bis August 2015 – vertrat nämlich die schweizerische Botschaft in Havanna die amerikanischen Interessen gegenüber Kuba. Tatsächlich baten die USA den Schweizer Botschafter in Havanna, Emil Stadelhofer, bei Fidel Castro zu vermitteln. Am sogenannten «Schwarzen Samstag», dem 27. Oktober 1962, erreichte die Krise ihren Höhepunkt: Zu Wasser provozierte die amerikanische Flotte sowjetische U-Boote und in der Luft, über sowjetischem Boden, wurde ein amerikanisches U-2 Aufklärungsflugzeug beinahe abgefangen, während eine andere U-2 über Kuba abgeschossen und dabei der Pilot Rudolf Anderson getötet wurde. Schliesslich konnte die Krise mittels von den USA und der Sowjetunion geführten Verhandlungen gelöst werden. Die sowjetischen Raketen wurden von Kuba abgezogen und Amerika versprach, keine weitere Invasion der Insel zu unternehmen wie auch seine Raketen aus der Türkei zurückziehen. Der Schweizer Botschafter Stadelhofer organisierte indessen den Transport der Leiche Rudolf Andersons in die USA. Anderson blieb das einzige Opfer eines Konflikts, der, wie aus den Dokumenten hervorgeht, die Welt an den Rand eines nuklearen Krieges gebracht hatte. Die Krise weckte das Bewusstsein der weltweiten öffentlichen Meinung; zum ersten Mal wurden die Folgen erkannt, welche ein Atomkrieg für den gesamten Planeten gehabt hätte.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 25. September 2012, 07:05 Uhr]