«Oggi la storia» ist, wie man auf der Website der Radiotelevisione Svizzera lesen kann, «eine Radiosendung, welche die Idee verfolgt, im Kurzformat verschiedene mit Aktualitäten oder Jahrestagen in Zusammenhang stehende Themen unter einem historisch-philosophischen Gesichtspunkt zu vertiefen.» Schon alleine der Titel ist nicht frei von philosophischen Implikationen: Der Begriff «Oggi» befördert uns unweigerlich in die Gegenwart und stellt sich der Vergangenheit von «la storia» entgegen. Auf den ersten Blick könnten wir es bei «Oggi la storia» also mit einer Aporie zu tun haben, einem unlösbaren Problem, da der Ausdruck einen unüberwindbaren Widerspruch zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit zu beinhalten scheint. Dank des Historikers und Philosophen Benedetto Croce wissen wir aber, dass «das praktische Bedürfnis, auf das sich jedes geschichtliche Urteil gründet, der Geschichte die Eigenschaft verleiht, ‹zeitgenössische Geschichte› zu sein, weil sie in Wirklichkeit – wie fern auch chronologisch die Tatsachen in der tiefsten Vergangenheit ruhen mögen – immer auf ein gegenwärtiges Bedürfnis, eine gegenwärtige Lage bezogen ist, in der diese Tatsachen mitschwingen.» (Benedetto Croce, Die Geschichte als Gedanke und als Tat, A. Francke, Bern 1944, S. 41)
Und so kommt es, dass die armen Autorinnen und Autoren von «Oggi la storia» für jede Ausstrahlung Themen, die mit dem Zeitgeschehen verknüpft sind, aufspüren oder sich irgendeinen Jahrestag aus den Fingern saugen müssen. Bevor ich mich in die Sommerpause verabschiede, verrate ich euch ein kleines Geheimnis. Alle zwei Wochen, auf der angestrengten Suche nach einem guten Thema für «Oggi la storia», kämpfe ich mich durch lange Listen mit den unterschiedlichsten und kuriosesten Jahrestagen, oder ich verliere mich beim Auffinden eines Gedenktags in der Grenzenlosigkeit der Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz. Häufig begleitet mich bei diesem süssen Eintauchen in das unendliche Meer von historischen Ereignissen ein alter Taschenrechner, der sich als treuer Gefährte beim Ermitteln von allfälligen runden Jahrestagen erwiesen hat. So liegt es nahe, euch zu verraten, dass genau vor 45 Jahren, im Jahre 1974, die US-amerikanische Firma Hewlett-Packard den glorreichen HP-65 auf den Markt brachte, den ersten programmierbaren Taschenrechner der Welt. Es handelte sich um ein wahres Wunderwerk der Technik mit neun Speicherregistern und der Möglichkeit, 100 Befehle zu programmieren. Mit diesem Rechner und jenen, die bald auf ihn folgten, wurde zum ersten Mal in der Geschichte ein grosses Leistungsvermögen für automatisierte Kalkulationen wortwörtlich in die Hände der Ingenieure als auch eines immer grösseren Publikums gelegt und die Grundlagen für die digitale Revolution geschaffen. Die zweiundvierzig Jahre seit dem ersten programmierbaren Rechner stellen wahrhaftig ein erstaunliches und denkwürdiges Ereignis dar, obschon dieses bislang Mühe hatte, aus der Vergessenheit der Geschichte zu treten.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 10. Juni 2014, 07:05 Uhr]