Heute ist der 18. Juni und genau vor 56 Jahren, am 18. Juni 1963, verfasste Edwin Stopper, der Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, in einem vertraulichen Papier die Richtlinien der schweizerischen Handelspolitik für die kommenden Jahre. Das Dokument kann auf der Online-Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz eingesehen werden (dodis.ch/30719). Stoppers Analyse ging von der Annahme aus, dass die damalige europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – so hiess diese erste Säule der Europäischen Union (EU) von ihrer Gründung im Jahr 1958 bis zum Vertrag von Maastricht von 1992 – im Wesentlichen auf die sechs Gründerstaaten sowie die bis zu diesem Zeitpunkt beigetretenen Länder und die Türkei beschränkt blieb. Gemäss der Untersuchung des Chefbeamten sollte die EWG im industriellen Sektor protektionistisch bleiben, im Agrarsektor sich immer mehr in Richtung Autarkie bewegen und der Schweiz sollte es nicht gelingen, mit der Gemeinschaft ein Zollpräferenzabkommen abzuschliessen. Die Zolldiskriminierung hätte die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz innerhalb des EWG-Raumes geschwächt. Mit dem Versuch, den Export in die 1960 mit Schweizer Beteiligung gegründete Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) wie auch nach Nordamerika zu verlagern, wären für die Erschliessung der Märkte gewaltige Kosten entstanden und zusätzliche Investitionen nötig geworden. Stoppers Dokument schliesst mit verschiedenen zu ergreifenden Massnahmen. Dazu zählen in erster Linie die aktive Mitwirkung der Schweiz an den multilateralen Verhandlungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT, die Suche nach bilateralen Lösungen mit der EWG, die Förderung der Exporte in die EFTA-Länder, in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Kanada, Japan und in die Entwicklungsländer, wie auch die Verdoppelung der Ausfuhren in die kommunistischen Ostblockländer.
Aus einer Distanz von vierundfünfzig Jahren liest der Historiker die Analyse von Botschafter Edwin Stopper, als handle es sich um in ihr Gegenteil verkehrte Weissagungen. «Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heisst. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet.» Mit diesen berühmten Worten beschrieb der Philosoph Walter Benjamin das Werk von Paul Klee, das er 1921 erworben hatte und das ihn, der von den Nationalsozialisten verfolgt im Exil lebte, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zu seinen philosophischen Thesen zum Begriff der Geschichte inspirierte. Der Engel der Geschichte fliegt rückwärtsgewandt und sieht dabei den bereits gegangenen Weg. Vielleicht gerade dadurch erkennt er mit grösserer Klarheit, wohin er fliegt. Und so wird aus dem Historiker ein rückwärtsgewandter Prophet.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 18. Juni 2013, 07:05 Uhr]