Heute ist der 15. Januar, und am 15. Januar 1858 wurde Giovanni Battista Emanuele Maria Segatini (sic), besser bekannt unter dem Namen Giovanni Segantini, der berühmte Maler aus Maloja, geboren. Vom anmutigen Bergeller Dorf öffnet sich der Blick ins Engadin, das Segantini in vielen seiner Werke verewigt hat. Denkt man weiter an die Bergeller Künstlerdynastie der Giacometti, von Augusto und Giovanni bis zu Alberto, Diego und Bruno, wie sollte man da nicht an den genius loci glauben, der Giovanni Segantini, mit Ferdinand Hodler und Cuno Amiet, in die Reihe der grössten Schweizer Künstler katapultierte?
Aber der Reihe nach: Segantini wurde in Arco, einem Städtchen fünf Kilometer nördlich des Gardasees geboren. Dem Österreichischen Biographischen Lexikon zufolge ist Segantini in Arco «Tirol (Italien)» zur Welt gekommen. Wenn man berücksichtigt, dass es erst drei Jahre nach Segantinis Geburt zur Einigung Italiens gekommen ist, handelt es sich dabei doch um eine gewagte Aussage. Das Historische Lexikon der Schweiz schreibt hingegen, dass Arco im «Südtirol» («Alto Adige», «Tyrol du Sud») lag, eine Terminologie, die erst nach den Friedensverträgen von Paris von 1919 politisch korrekt ist; so müsste der Ort wohl aber korrekterweise in der Provinz Trient angesiedelt werden. In Wahrheit gehörte Arco zur Zeit von Giovanni Segantinis Geburt zu Tirol im damaligen österreichischen Kaiserreich.
Die freie Enzyklopädie Wikipedia nennt Segantini in der deutschen Version einen österreichischen Maler, und auch das Historische Lexikon der Schweiz in Italienisch, Deutsch und Französisch sowie das Lexicon Istoric Retic in Romanisch informieren uns, dass Segantini österreichischer Staatsbürger und seit 1865 staatenlos war. In der italienischsprachigen Version von Wikipedia wird er hingegen als italienischer Maler bezeichnet; ihr tun es die englische, spanische, französische und romanische Version wie auch jene in Esperanto gleich. In der sizilianischen Dialekt-Ausgabe lesen wir: «Fu nu pitturi apolidi … nun appi mai la cittaninanza italiana, ni chidda austriaca» (Er war ein staatenloser Maler … er besass nie die italienische noch die österreichische Staatsbürgerschaft), während Wikipedia auf «Lumbaart», am gegenüberliegenden Pol Italiens, verkündet: «L’è stai un pitùr d’urigin trentina», und überzeugt fortfährt, «Segantini el parleva cume prima lengua in milanés e’l scriveva ind un gram italiàn. Ind i Grisón l’ha imparàd i bas dal rumànc e miga el tudésch.» (Er war ein Maler aus dem Trentino. Segantini sprach in seiner Erstsprache Mailändisch und schrieb schlecht Italienisch. In Graubünden hat er ein wenig Romanisch, aber kein Deutsch gelernt).
Mit Sicherheit wissen wir hingegen, dass Giovanni Segantini, 41-jährig und allen Enzyklopädien zum Trotz, als Staatenloser und Kosmopolit – so wie er immer gelebt hat – auf dem Schafberg oberhalb von Pontresina gestorben ist.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 15. Januar 2013, 07:05 Uhr]