Die Katastrophe von Fukushima hat uns mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen geführt, was es heisst, wenn die Planungsannahme des sogenannt grössten anzunehmenden Unfalls Realität wird. Ich glaube daher nicht an einen Zufall, wenn seit März 2011 die Frage der Sicherheit der Atomkraftwerke auch in der Schweiz immer wieder aufgeworfen wird. Der politische Entscheid des Bundesrates, schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen, erstaunt angesichts der japanischen Katastrophe nicht. Ebenfalls erstaunt nicht, dass die seit 1990 bekannten Sicherheitsprobleme des Atomkraftwerkes Mühleberg nahe Bern in den letzten vier Jahren von der Presse ausführlich diskutiert worden sind und auch Gegenstand eines Bundesgerichtsentscheids waren.
Erstaunlich ist hingegen, wie wenig über einen Nuklearunfall gesprochen wird, der sich in der Schweiz ereignet und auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse die Stufe 5 von 7 erreicht hat.
Genau heute vor 50 Jahren, am 21. Januar 1969, explodierte im waadtländischen Städtchen Lucens ein Versuchsreaktor und provozierte eine partielle Kernschmelze. Dieser Versuchsreaktor, in eine tiefe Felskaverne gebaut, war der erste und einzige vollständig schweizerische Reaktor. Er wurde entwickelt, um die Konstruktion eines eigenen Kraftwerks für die Produktion von Atomenergie zu testen. An diesem Tag im Januar 1969 wurde der Versuchsreaktor, nach einer Monate dauernden Revision der gesamten Anlage, wieder in Betrieb genommen. Wie die Eidgenössische Untersuchungskommission zehn Jahre danach rekonstruieren konnte, hatten Wasseransammlungen zur Korrosion der Brennstäbe geführt, wodurch der ganze Reaktor stark beschädigt wurde. Die Folge davon war eine Explosion, die radioaktives Material in die Kaverne schleuderte, so dass das Betriebspersonal gezwungen wurde, die Anlage unverzüglich zu verlassen. Es ist nur der Felskaverne zu verdanken, dass der Unfall keine grösseren Auswirkungen auf die umliegenden Gebiete hatte; es soll hier aber auch nicht vergessen werden, dass sich die Arbeiten für die Stilllegung der Anlage bis ins Jahr 1993 hinzogen, und erst 2003 die letzten grossen Fässer mit radioaktivem Material im Zwischenlager in Würenlingen eintrafen. Der Nuklearunfall von Lucens begrub die Träume einer autarken nuklearen Schweiz endgültig.
Nebst der zivilen, wie beim Reaktor von Lucens, beabsichtigte die Schweiz auch eine militärische Nutzung der Atomtechnologie. Bereits 1945 hatte eine Studie des Eidgenössischen Militärdepartements eine atomare Bewaffnung der Schweiz gefordert, worauf sich das Land das benötigte Uran sicherte und als strategische Reserve in einem Stollen in den Alpen einbunkerte. Erst 1969 unterzeichnete die Schweiz den Atomwaffensperrvertrag, und das Parlament brauchte noch ganze sieben Jahre, um diesen zu ratifizieren.
Diese und andere spannende Geschichten zur Energie (dodis.ch/T1122) und zur nuklearen Bewaffnung
(dodis.ch/T1121) sind in der Online-Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz zu finden.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 21. Januar 2014, 07:05 Uhr]