Am 27. Januar – am Jahrestag des Eintreffens der sowjetischen Truppen im Konzentrationslager Auschwitz – wird der «Tag des Gedenkens» begangen. Mit dem Gedanktag wird an die Opfer des Holocaust (Shoah), des Genozids an den europäischen Juden, erinnert. Vielleicht muss hier erwähnt werden, dass es sich dabei um eine jüngere Initiative handelt. Obwohl Israel den Gedenktag bereits im Jahr 1959 institutionalisiert hatte, wurde er in Deutschland erst 1996 und in Italien im Jahr 2000 eingeführt. Erst nach einer Resolution des Europarates von 2000 und dem darauffolgenden Entscheid der europäischen Bildungsminister im Jahr 2002, den Gedenktag in den Schulen durchzuführen, wurde diese Gedächtnisfeier veritabel international und erfuhr schliesslich mit einer Resolution der UNO 2005 eine weltweite Verbreitung. Wohl auch als Folge der Kontroverse um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg begingen die Schweizer Schulen den Jahrestag zum ersten Mal im Jahr 2004.
Aus diesem Anlass hat die Website der Diplomatischen Dokumente der Schweiz (dodis.ch/dds/1595) ein e-Dossier zur Schweiz, den Flüchtlingen und der Shoah online gestellt, das die wichtigsten Dokumente zum Thema vorstellt. Aus diesen ragen die Berichte von Schweizer Diplomaten im Ausland heraus, die bereits ab November 1941 die ersten Informationen über die Vernichtung der Juden und andere Verbrechen der Nazis lieferten. Diese Informationen, durch Aussagen von deutschen Deserteuren und später durch Zeugnisse der Überlebenden der Konzentrationslager ergänzt, häuften sich mehr und mehr und liessen ein immer deutlicheres Bild von dem entstehen, was die Nazis euphemistisch die «Endlösung des Judenproblems» nannten. Im Mai 1942 übermittelte der Schweizer Konsul in Köln dem Nachrichtendienst des Heeres einen Bericht mit einer fürchterlichen Fotodokumentation von der russischen Front, die das «Ausladen aus deutschen Güterwagen von Leichen von vergasten Juden» zeigt. Trotzdem wurde in jenem Sommer die Schliessung der Grenzen verfügt. Obwohl diese Massnahme von einem Teil der öffentlichen Meinung heftig kritisiert wurde, stellte sich die Mehrheit des Parlaments hinter den harten Kurs des Bundesrates. Dieser liess an der Grenze Tausende Personen auf der Suche nach einer Zuflucht zurückweisen. Letztlich nahm die Schweiz ungefähr 100’000 internierte Soldaten und 50’000 zivile Flüchtlinge, davon etwa 21’300 Juden, auf.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 28. Januar 2013, 07:05 Uhr]