Heute ist der 1. April, und dieses Datum ist nunmehr zum Synonym für die Tradition des Aprilscherzes geworden, also für den Tag, an dem man sich einen Spass auf Kosten desjenigen erlauben kann, der nicht darauf gefasst ist oder der das Datum nicht weiss. Der Ursprung dieses in vielen Ländern verbreiteten Brauchs liegt im Dunkeln. Vielleicht gerade deswegen sind Dutzende von kühnen Theorien im Umlauf, welche versuchen, Licht in die Angelegenheit zu bringen, mich aber vermuten lassen, dass gerade sie Opfer des Scherzes werden, den sie zu erklären versuchen. Ich unterlasse es hier ausdrücklich, meine Meinung über die um sich greifende Gewohnheit der meisten Massenmedien, das Publikum mit immer ausgefallerenen Scherzen hereinzulegen, zu äussern.
Der 1. April 1920 fiel auf einen Donnerstag. An diesem Tag wurde auf den Strassen von Poschiavo ein merkwürdiges Fahrzeug gesichtet, das unter den Passanten grosse Aufmerksamkeit erregte. Da es gerade 1. April war, erwarteten alle, dass sich diese seltsame Erscheinung als Aprilscherz entpuppen würde. Das Gefährt trug marine Symbole: seine Wände waren mit Krebsen verziert. Auf dem vorderen Teil des symbolhaften Vehikels konnte man die Parole «Fortschritt» lesen, darunter war ein Automobil aufgemalt. Der Redaktor von «Il Grigione Italiano» führte seine Berichterstattung so fort: «Das Fuhrwerk wurde von einem geduldigen Ochsen gezogen, in dessen Tierhirn sich wer weiss was für Gedanken drehten. Der langsame Gang des Umzugs, die Krebse, das Steuerrad des Automobils etc. sollten eine Satire […] auf die jüngste Ablehnung des Automobilgesetzes darstellen.»
Beim skurrilen Wagen handelte es sich also nicht um einen Aprilscherz, sondern vielmehr um eine politische Aktion. Tatsächlich betrachtete ein grosser Teil der Bevölkerung die Einführung des Automobils in der Schweiz mit grossem Argwohn. Aus Angst vor Unfällen wurden die Alpenpässe für den Automobilverkehr geschlossen und erst 1906, dank der Lobby der Tourismusindustrie, konnte der Gotthardpass für den motorisierten Verkehr wenigsten ein paar Stunden am Tag geöffnet werden. Zu den heftigsten Gegnern der Einführung des Autos gehörten die stolzen Bündner, die 1900 ein Generalverbot für den Autoverkehr erliessen. Ganze zehn Volksabstimmungen waren nötig, bis der Eigenwille des souveränen Bündner Volkes 1925 gebrochen werden konnte. Bis dann – und dies ist wirklich kein Aprilscherz – mussten die Automobile von Pferden oder Ochsen gezogen werden, genau wie 1920 beim spöttischen Umzug der Fortschrittsbefürworter von Poschiavo.
[Datum der Erstausstrahlung: Radiotelevisione Svizzera RSI, Rete Due, 1. April 2014, 07:05 Uhr]